Der Malort
"Im
Malort entwickelt sich die Persönlichkeit, dehnt
sich zu einer
ungeahnten Dimension aus und wird
befreit von Allem, das ihr nicht eigen
ist: von den
Einflüssen, von den Anpassungen, die sie einschränken.
In diesen außergewöhnlichen Momenten erlebt
die Person nur sich selbst."
Arno Stern
Der
Malort und das Malspiel - eine Reise* 
Stell
dir vor, du betrittst diesen Raum:
Auf
allen Seiten geschlossene Wände, bis auf die Tür… komplett mit
Packpapier verkleidet … von oben scheint Licht, als wäre es heller
Tag. Bunte waagrechte
und senkrechte Linien auf den Papier-Wänden vom Über-den-Rand-Malen
zeugen vom Spiel zahlloser Vorgänger.
Der
Mantel wird abgelegt und du wählst dir einen Kittel aus den kleinen
und großen, langen und kurzen, weißen oder farbigen und schlüpfst
hinein.
Die
Welt draußen verabschiedet sich und du tauchst ein in diesen typischen
Flair des Malorts … ein geschützter Raum, der Heiterkeit und Ruhe
ausstrahlt. Jahreszeiten, Tageszeit, das Wetter, der Alltag …all dies
scheint vergessen für die nächsten 90 Minuten und machen stattdessen
einer angeregten Spannung und Spiellust Platz.
Du
begreifst schnell, wo die leeren Blätter liegen, dass du die
Malspieldienende um Mithilfe bittest, dir dein Blatt mit Reissnägeln an
gewünschter Stelle aufzuhängen und tust es den erfahreneren Malenden
gleich, dir am Palettentisch in der Mitte des Raumes einen Pinsel zu
nehmen, nachdem du die 18 leuchtend-bunten Farben auf dich hast wirken
lassen.
Das
Malspiel ist eine Einladung an dich, in deinen eigenen Malraum
einzutauchen, den dein weisses Blatt darstellt und dich dem Spiel, dem
Entstehen deiner natürlichen Spur hinzugeben.
Gedanken,
wie: "Was soll ich malen?...schiessen dir durch den Kopf? Das ging
Vielen vor dir genauso. Mach es wie sie: den Pinsel in Wasser und Farbe
eintauchen, irgendwo auf dem Blatt ansetzen und offen und neugierig der
glänzenden, farbigen Spur folgen, die Hand und Pinsel entstehen lassen.
Nun
drängt sich eine neue Spur, eine andere Farbe auf und das Spiel nimmt
seinen Lauf. Du wirst sehen, innerhalb der nächsten Wochen und Monaten
zeigen sich immer neue Gebilde, Motive, Weisen… das Malspiel beginnt
zu erblühen und eröffnet dir ungeahntes Können und Tiefen des
Empfindens.
Um
dich herum malt es:
Kleine
und Große, Alte und Junge, Stille und Schüchterne, Muntere und Kesse,
Fremde, Vertraute...
Hier
ruft jemand "Reißnagel" und wartet auf den Malspieldienenden,
der gerade eine Andere beim Farben-Mischen bedient, dort hüpft Einer
vom Hocker, um den Pinsel erneut einzutauchen. Eine steht auf einer
hohen Leiter und malt über viele Blätter hinweg, ein anderer möchte
ein neues Blatt beginnen und hält es erwartungsvoll in der Hand...
Manchmal
herrscht konzentrierte Stille und dann werden wieder Worte gewechselt -
über "Gott und die Welt" – nur nicht über die entstehenden
Bilder selbst!
Das
Bedient-Werden ist dir neu? Schau, wie gut es die Kleinen annehmen und
es mit ihrem ernsthaften Spiel danken. Wie sie die Regeln annehmen, wie
respektvoll sie mit Pinsel und Farben umgehen, weil es ihnen zugetraut
wird. Wie die Interaktion mit den Anderen im Raum ganz natürlich
Kommentare über das Entstandene erübrigen.
Längst
hast du vergessen, deine Bilder zu bewerten oder andere zu ihrer Meinung
zu befragen. Auch schaust du deren Bilder nun neid- und kritiklos an. Du
lässt deine Bilder im Malort hinter dir, und das ist nicht nur eine
Regel, sondern weil du erfüllt bist vom Malgeschehen selbst und weißt,
dass sie hier gut aufgehoben sind.
Vielleicht
wirst du nächstes Mal dran weiter malen und sie auf viele Bilder
anwachsen lassen? Vielleicht ein Neues beginnen?
Es
wird dich auf jeden Fall ein neues Spiel erwarten, dem du dich hingeben
kannst.
*Diese
'Reise' ist angeregt durch mein eigenes Malspiel-Erleben.
Nana
Mikolajczak
nach oben
|